Sagt ein Messebesucher zum anderen: „Das Thema Nachhaltigkeit ist ja dieses Jahr ziemlich Trend hier.“ Ach was. Aber tatsächlich war auf der Messe mal wieder zu spüren, wie viele Bio-Unternehmen versuchen, die Welt über ihr Kerngeschäft hinaus ein bisschen besser zu machen.
So fühlt sich der Besuch der Biofach ein bisschen an wie ein Bad in einem großen Ideenpool. Sicher, Bio ist ein großes Geschäft, und das spielt sich längst nicht mehr zwischen jesusbelatschten Öko-Fundis und strickenden Vollwertjünger*innen ab. Als 2017 der Markt für Biolebensmitteln die Umsatzschallmauer von 10 Milliarden Euro durchbrach, wurden 6 Milliarden davon im konventionellen Lebensmitteleinzelhandel erzielt. Die Discounter haben auch bei Bio die Nase vorn. Für Weltverbesserung ist an dieser Stelle nur noch wenig Platz.
Mehr als einfach nur Produkte
Umso großartiger finde ich es zu sehen, wie viel Engagement einige Biounternehmen über ihr Kerngeschäft hinaus aufbringen. Bei den einen geht es um die Erhaltung kleinräumiger Landschaftsstrukturen und der Biodiversität, bei anderen um die Verfügbarkeit von Saatgut und um Sortenvielfalt, bei den Dritten um fairen Handel und bei den Vierten um lebenswerte Sozialstrukturen in ihrer direkten Umgebung.
Auf der Messe wächst von Stand zu Stand die Überzeugung, dass es Hoffnung gibt für eine bessere Welt, wenn sich so viele tatkräftige und kreative Menschen dafür engagieren. Aber gleichzeitig frage ich mich: Wie viel davon kommt eigentlich „draußen“ an? Wie viele dieser Hoffnung machenden Geschichten begegnen mir, wenn ich einkaufen gehe? Oder wenn ich zur Kaffeepause im Internet rumlese? Eher wenige, und dabei wissen Facebook & Co. natürlich von meiner Bioaffinität.
Es bleibt eine Herausforderung für die Unternehmen der Branche, ihren Mehr-Wert zu kommunizieren, ihn spürbar und erlebbar zu machen – vor allem für ein Publikum, bei dem in den letzten Jahren oft nur angekommen ist: „Bio ist irgendwie gesünder.“ Und das deshalb im Zweifel zum Discounter-Bio mit Minimalanforderungen greift. Dabei gäbe es gerade bei den etablierten Biomarken so viele gute Geschichten zu erzählen!
Wo Bio hip ist
Die Bio-Startups haben damit oft weniger Probleme, denn bei ihnen steckt die Geschichte oft schon im Produkt. Wer Kaffee per Segelschiff nach Deutschland bringt, aus Fallobst Hipsterbrausen herstellt oder Müslis von Menschen ohne Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt mischen lässt, verkauft natürlich vor allem über die Story – und muss das wohl auch, denn interessanterweise tummeln sich sehr viele dieser jungen Unternehmen in Marktbereichen, die eh schon gut besetzt sind: Getränke, Müslis, Kaffee, Gewürze.
Was nicht heißen soll, dass hier lediglich clevere Marketingstrategen am Werk sind. Nein, viele dieser Startups treten als Social Entrepreneurs an und wollen mit ihren Unternehmen echte Mehrwerte schaffen. Aber sie haben eben auch keine Berührungsängste, was Social Media angeht, sondern nutzen ganz selbstverständlich Instagram, Facebook & Co., um ihre Botschaften in die Welt zu bringen. Ich bin gespannt, was man von ihnen in Zukunft noch hören, sehen und lesen wird.
Die Zukunft des Essens?
Natürlich bin ich nicht nur als Kommunikationsfachfrau, sondern auch als Food-Autorin (und natürlich: Genießerin!) über die Messe geschlendert. Wobei ich ähnlich wie im letzten Jahr mit gemischten Gefühlen nach Hause gefahren bin. Fiel mir 2018 vor allem die Menge an Convenienceprodukten auf, mit deren Hilfe die Zeit fürs Kochen immer weiter reduziert wird, so hatte ich diesmal den Eindruck: Kochen ist ohnehin ein Auslaufmodell. Gefühlt an jedem dritten Stand wurde Müsli in allen Varianten angeboten, und Porridge stand immer gleich daneben. Und wer kein Müsli löffelt, könnte man meinen, ernährt sich von Smoothies (jetzt auch ganz ohne frisches Obst und Gemüse aus Konzentrat-von-irgendwas-Kugeln zuzubereiten). Selbst Brei im Quetschbeutel, so erzählte es mir der nette junge Mann an einem Quetschie-Stand, kaufen durchaus auch Erwachsene als Snack zwischendurch.
Ist das die Zukunft unserer Ernährung – Breie, Müslis, Säfte? Und als kleine Abwechslung zur Babykost ein Burger aus einem beliebigen pflanzlichen Protein (auch ein großes Thema)? Ein bisschen bange wird mir bei der Vorstellung schon. Schnell mal rüber in die internationalen Hallen, um ein bisschen Olivenöl zu verkosten und handgemachte italienische Pasta zu bewundern!
Pack ’mers ohne Plastik
Ein Leitmotiv der diesjährigen Biofach war außerdem Plastikvermeidung. Insofern haben die beiden Messebesucher, die ich belauscht habe, nicht ganz unrecht: Das derzeit dominierende Nachhaltigkeitsthema hatte auch hier spürbaren Einfluss. Mehrweggläser und Abfüllstationen für unverpackte Waren begegneten mir immer wieder, aber auch kreative Kartonverpackungen oder Frischhalte-Bienenwachspapier für Frischetheken.
Allerdings kommen Unternehmen durchaus zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen, welche Verpackungen am nachhaltigsten sind. Und manchmal war ich mir nicht sicher, ob die Abkehr vom Plastik tatsächlich immer dadurch motiviert ist, welche Lösung die beste für die Umwelt ist – oder ob es darum geht, was die Käufer*innen für nachhaltiger halten. Mehrweggläser lassen sich natürlich prima auf Instagram inszenieren … Trotzdem: Daumen hoch dafür, dass das Thema in den Branchenfokus geraten ist! Wobei es durchaus auch immer noch ganz schön viel (unnötigen) Verpackungswahnsinn zu besichtigen gab.
Ich bin gespannt, wie es nächstes Jahr darum steht. Und natürlich, was ich 2020 an Neuentwicklungen auf der Messe bestaunen darf. Ich freue mich darauf!
Gabriela Freitag-Ziegler meint
Liebe Sabine,
vielen Dank! Das hast du sehr gut beobachtet und klug auf den Punkt gebracht. Das Thema Plastik vermeiden habe ich mittlerweile auch so sehr auf dem Schirm, dass ich so oft wie möglich an den Ständen danach gefragt habe. Aber bei manchen Lebensmitteln (z. B. fetthaltige Kekse, Fertiggerichte) scheint es nach wie vor die Methode der Wahl. Da hilft dann nur selber backen und kochen sowieso. Und über solch schräge Produkte wie Quetschbeutel mit Bio-Obst habe ich mich schon letztes Jahr geärgert. Ich bin gespannt, wie das alles weitergeht und habe die Biofach 2020 jedenfalls schon fest im Kalender.
Liebe Grüße, Gabi
Sabine Schlimm meint
Hoffentlich mit Kaffeetermin unter Kolleginnen! 🙂 Und mit dem Selbstmachen und -kochen hast Du recht. Aber ich fürchte, das ist nicht die breitentaugliche Lösung, wenn ich mir so angucke, wie wenig nur noch gekocht wird …